Aufregung im Kiefernwald



 

 

Leseprobe Kinderbuch

Jetzt sollte mit diesem Gewehr Futter für die Vogelkinder geschossen werden. Als Jäger wurde Onkel Karl-Heinrich bestimmt. Er schoss als Schütze in einem Verein seines Dorfes, war dort als einer der guten bekannt und prahlte des Öfteren mit seinen Schießkünsten. Mit gelade­ner Luftbüchse schlich er nun auf leisen Sohlen ums Haus. Gespannt beobachteten Nach­bar Piephahn, der auf einem Findling saß und seine Pfeife mit Onkel Hottes Tabak stopfte, und die anderen Hausbewohner das weitere Geschehen.
Auf der Dachrinne an der Hausecke beschimpfte gerade Herr Sperling Pieps mit lautem Gezeter Herrn Sperling Spatzi: „Dat hier is mien Hüsung. Hier will ick mit mien Fru intrecken. Ick wier tauierst hier. Se sünd ierst nå mi kåmen.“
Sperling Spatzi wollte heftig antworten, als eine Bleikugel an ihnen vorbeipfiff und in einem Dachstein einschlug. Schwups, saßen beide in der Dachrinne und guckten neugierig über deren Rand. „Is dat komisch“, piepste Sperling Spatzi, „dat Gewiehr zeigt doch går nich up uns.“ Dann huschten beide über das Dach hinter den Dachfirst. Dort trafen sie den Rest der Spatzenschar, die in der Nähe und im alten Bauernhaus lebte. Entrü­stet schilpten die Sperlinge aufeinander ein. Sie hielten es kaum für möglich, dass der freundliche Mann, der sonst stundenlang auf dem Findling sitzen konnte und sie mit Küchenkrü­meln fütterte, mit einem Mal Kugeln auf seine Spatzenfreunde abfeuerte. Peng, wieder krachte eine Bleikugel an einen Dachstein. Die Spatzen wunderten sich. Diesmal zeigte der Lauf des Gewehres genau in ihre Richtung. Husch, die Spatzenschar verschwand auf die andere Seite des Daches. Onkel Karl-Heinrich hetzte mit verbissenem Gesicht zur gegenüberliegenden Hausseite und feuerte einen Schuss ab. Als der am Dachfirst ankam, waren die flinken Vögel schon wieder verschwunden.
Doch dann wurde es spannend. Sperling Pieps schielte frech über den Dachfirst. Onkel Karl-Heinrich sah ihn, ganz allmählich hob er das Gewehr. In seinen Augen sah man kühle Entschlossenheit. Jetzt waren Kimme und Korn und das Opfer auf dem Dach in einer Linie. Die Beobachter hielten den Atem an. Das musste der erste Braten für die Vogelkinder in der Kiste werden. Langsam krümmte sich Karl-Heinrichs Finger. Die Kugel flog aus dem Lauf. Polternd, sich heftig drehend, getroffen von dem Bleistückchen, rutschend und kreischend, vorbei an den weichen Moospolstern, verfolgt von den gespannten Blicken der Zuschauer, purzelte ein Stück eines Dachsteins in den Vorgarten.
„Wenn du so weiter ballerst, müssen wir im nächsten Jahr das Dach neu decken lassen“, spottete Onkel Hotte. Auf Onkel Karl-Heinrichs Stirn bildeten sich Schweißperlen. Seine Augen blickten hektisch. Seine Wangen waren hochrot. „So eine Blamage“, hämmerten die Gedanken in seinem Kopf. Er zielte wieder und schoss immer wilder. Die munteren Vögel hatten sich daran gewöhnt. Sie setzten sich immer gerade dorthin, wohin der Lauf des Geweh­res zeigte. Sie nahmen ihre Gespräche wieder auf, jedoch nicht, ohne das Schießeisen genau zu beobachten.
Die Hausbewohner ließen die Köpfe hängen und glaubten nicht mehr an einen Erfolg des Unternehmens „Spatzenjagd“. Mit traurigen Gesichtern umstanden sie die Kiste mit den Vogeljungen.

© Hanns-Eckard Sternberg 04.2009


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